„Hätten wir eine Profitruppe, dann hätten wir in der Gegend bleiben und uns dort auf das zweite Auswärtsspiel hintereinander vorbereiten können“ erklärte Peter Hackenberg schmunzelnd und spielte damit auf die kurze Entfernung zwischen Kronau und Pforzheim an. So jedoch müssen die Auerbacher erneut eine Fahrt von fast 300 Kilometern in Kauf nehmen, wenn sie am kommenden Samstag zu ihrem fünften Saisonspiel antreten wollen.
Die Reise geht diesmal nach Pforzheim. Die Großstadt am nördlichen Rand des Schwarzwaldes ist mit über 115.000 Einwohnern die achtgrößte Stadt Baden-Württembergs. Ursprünglich eine Römergründung, wurde sie 1067 erstmals urkundlich erwähnt. Im Laufe ihrer wechselhaften Geschichte wurde sie mehrmals zerstört, zuletzt 1945, als ein Luftangriff 80 Prozent des Stadtgebietes in Schutt und Asche legte und dabei fast 18.000 Tote forderte. Es verwundert daher nicht, dass das heutige Stadtbild durch die Architektur der 1950er Jahre geprägt ist. Lediglich in der Nord- und Südstadt befindet sich vereinzelt noch historische Bausubstanz mit repräsentativen Einzelbauten aus dieser Zeit wie dem Hauptbahnhof, dem Amtsgericht und einem Kulturzentrum im Stadtgarten, dem nach dem Humanisten und wohl bedeutendsten Sohn der Stadt Johannes Reuchlin benannten Reuchlinhaus. Große wirtschaftliche Bedeutung erlangte Pforzheim, nachdem Markgraf Karl Friedrich von Baden im Jahre 1767 mit Hilfe eines schweizerischen Unternehmens die Gründung einer Schmuck- und Uhrenindustrie vorantrieb. Jahrelang galt die Stadt als weltweit größtes Zentrum der Schmuckfabrikation, was ihr auch den heute noch verwendeten Beinamen „Goldstadt“ einbrachte. Inzwischen hat sich jedoch auch ein starker industrieller Zweig in den Branchen Metallverarbeitung, Elektronik, Elektrotechnik und Versandhandel entwickelt. Zwar kommen immer noch etwa 75 Prozent des deutschen Schmucks aus Pforzheim, jedoch wanderte zu Beginn der 1980-er Jahre ein Großteil der Hersteller aus der Region ab, was zu hohen Arbeitsplatzverlusten führte.
Dennoch hat sich die Stadt ihre Internationalität sowie ihre kulturelle Bedeutung erhalten. Das wegen der mehrmaligen und völligen Zerstörung und des modernistischen Wiederaufbaustils der 1950-er Jahre als uneinheitlich und wenig attraktiv bezeichnete Stadtbild kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass etliche der frühen Nachkriegsbauten als bedeutende Pionierbauten für die Nachkriegsarchitektur in Deutschland gelten. Theater, Museen, Kirchen, der Hauptfriedhof, der Skulpturenweg Seehaus, der Enz-Auen-Park sowie der Wildpark bieten ebenso attraktive Besichtigungsziele, wie das Mahnmal auf dem Trümmerberg Wallberg. Neben dem Boxer René Weller und dem kürzlich verstorbenen Konzert- und Tourneeveranstalter Fritz Rau stammte auch Berta Benz aus Pforzheim. Durch ihren unternehmerischen, technischen und finanziellen Einsatz schuf sie die Voraussetzungen für die Erfindung des Benz-Patent-Motorwagens durch ihren Mann Carl Benz. Mit der ersten Fernfahrt in einem Automobil bewies sie die Eignung des neuen Verkehrsmittels.
All diese interessanten Details dürften jedoch wie üblich vor allem für die mitreisenden Fans der Auerbacher Handballer von Bedeutung sein. Die Spieler haben mit Sicherheit Anderes im Kopf, schließlich hoffen sie gegen den Aufsteiger aus der Goldstadt erstmals auch auswärts etwas Zählbares zu erreichen. Dass das Team um den vielfachen weißrussischen und deutschen Nationalspieler Andrej Klimovets (39) dies verhindern möchte, versteht sich von selbst. Klimovets spielte lange Jahre in der „stärksten Liga der Welt“ – unter anderem bei der SG Flensburg-Handewitt, den Rhein-Neckar-Löwen, und dem MT Melsungen. Im Februar 2012 trat er für Bundesligist HSG Wetzlar an, obwohl er noch eine Spielberechtigung für die TSG Haßloch innehatte. Daraufhin wurde er nach einem Spiel für die gesamte Spielzeit gesperrt.
Seit der Saison 2012/2013 steht er nun in Diensten der TGS Pforzheim, zunächst als Kreisläufer und ab August diesen Jahres als Trainer. Mit seiner tatkräftigen Unterstützung in Abwehr und Angriff schafften die Goldstädter mit deutlichem Vorsprung vor dem SV Salamander Kornwestheim als souveräner Meister der Oberliga Baden-Württemberg den Aufstieg in die 3. Liga. Doch auch nach der Beendigung seiner aktiven Kariere verfügt der Neuling über ein schlagkräftiges Team. Neben Klimovets stand mit Linkshänder Nils Brandt (30) bereits in der Vorsaison ein weiterer Spieler mit Bundesligaerfahrung im Aufgebot. Dazu gesellte sich im linken Rückraum mit Florian Taafel ein treffsicheres Eigengewächs. Bereits zweimal konnte er die Torjägerkrone der Baden-Württemberg-Oberliga erringen und wurde nur durch eine langwierige Verletzung vom Hattrick abgehalten. Nach dem "Abgang" von Andrej Klimovets suchte und fand die TGS mit dem Polen Michal Wysokinski (28) einen überzeugenden Ersatz. Das 100-Kilo-Kraftpaket spielte zuletzt in der Ersten Liga Polens und kam zusammen mit seiner Frau, der Nationaltorhüterin Anna Baranowska, die bei der SG BBM Bietigheim in der Bundesliga unter Vertrag steht, in den Südwesten Deutschlands.
Neben Taafel steht dem Trainer mit Neuzugang Valentin Hörer (29) ein weiterer torgefährlicher und variabler Rückraumspieler zur Verfügung. Mit einem homogenen Team gelang den Goldstädtern in der laufenden Spielzeit zwar noch kein Punktgewinn, allerdings verloren sie ihre vier Partien immer wieder sehr knapp. Vor allem zu Hause stellen sie den Gegner, zuletzt den HSC Bad Neustadt (32:34), vor schwierige Aufgaben.
Ob die Auerbacher Spieler diese Aufgaben bewältigen können, hängt für Tobias Wannenmacher von mehreren Faktoren ab. „Für uns ist es wichtig, das Spiel mit mehr Ruhe anzugehen, uns besser ohne Ball zu bewegen und unsere Kräfte besser einzuteilen, sonst laufen wir wieder Gefahr, dass uns gegen Ende der Partie die Luft ausgeht und wir unsere Fehlerquote nicht unter Kontrolle bekommen“ meinte er am Rande einer Trainingseinheit. „Eine Niederlage wäre so früh in der Saison zwar kein Beinbruch, würde den Abstand zum Mittelfeld aber unangenehm anwachsen lassen.“
Aufstellung: Adam, Walzik, Schramm, Tannenberger, Weiss, Walz, Müller, Wannenmacher, Brodschelm, Herold, Wolf, Schmidtke, Schöttner