„Da waren es nur noch zwei.“ Bevor die Handballer des SV 08 Auerbach am 30. April mit dem Heimspiel gegen den ehemaligen Europapokalsieger TV Großwallstadt die laufende Saison und für voraussichtlich lange Zeit ihr Abenteuer 3. Liga abschließen, treten sie an diesem Samstag noch einmal in fremder Halle an.
Kirchzell, ein kleiner Markt im unterfränkischen Teil des Odenwalds, liegt genau im Länderdreieck Bayern, Hessen und Baden-Württemberg und bedeutet mit etwa 235 Kilometern Fahrt eine eher durchschnittlich lange Anreise für die Blau-Weißen. Trotz seiner nur etwa 2.300 Einwohner ist der Ort die flächenmäßig größte Gemeinde im Landkreis Miltenberg. Kirchzell blickt auf eine 1200-jährige und sehr wechselhafte Geschichte zurück. Der Ort verdankt seine Gründung der Benediktinerabtei in Amorbach. Das Kloster und damit auch Kirchzell wechselten mehrmals den Besitzer. Das Fürstengeschlecht der Herren von Dürn errichteten dabei mit der Burg Wildenberg ein Glanzstück des Burgenbaus der Stauferzeit. 100 Jahre später wurde der Ort an den Erzbischof von Mainz verkauft, im Jahre 1700 mit dem Marktrecht versehen und nachdem er zeitweise auch an Baden und Hessen-Darmstadt abgetreten worden war, fiel er 1816 schließlich an Bayern.
Für das interessierte Auerbacher Auswärtspublikum werden jedoch weder die Museen, die Reste des Limes, die hochmittelalterliche Wildenburg oder auch das älteste Fachwerkhaus im Odenwald zu besichtigen sein, denn der TV Kirchzell trägt seine Heimspiele im benachbarten Amorbach aus. Die Parzival-Sporthalle im Friedensweg fasst etwa 1.200 Zuschauer und ist seit langem Heimstatt für die Unterfranken. Hier feiern sie seit Jahren ihre Zugehörigkeit zur Regionalliga und später zur 3. Liga sowie auch einige Spielzeiten in der 2. Bundesliga (2000 – 2003, 2006/07). Obwohl Kirchzell rein geografisch in Bayern liegt, ist der Verein dem Handballkreis Odenwald-Spessart zugeordnet und spielt daher im Hessischen Handballverband. Aufgrund einer sehr guten Jugendarbeit gelingt es dem „Dorfverein“ immer wieder, bundesligataugliche Spieler auszubilden. Bekannteste Beispiele sind die Nationalspieler Heiko Grimm, Bernd Roos, Carsten Lichtlein, Andreas Kunz, Patrick Schmidt und nicht zuletzt Andreas Wolff. Sie alle begannen hier ihre erfolgreichen Karieren.
Trotz der ehemaligen Erfolge sieht man beim TV seine Identität derzeit in der 3. Liga am besten gewahrt und versucht daher diese Klasse zu halten. In den vergangenen Spielzeiten war dieses Ziel meist sehr früh erreicht, vielmehr belegten die Odenwälder in den letzten beiden Jahren jeweils sogar Plätze im oberen Drittel der Tabelle. Doch obwohl das Team um den Kirchzeller Langzeit-Trainer Gottfried Kunz (59) nur wenig verändert in die neue Saison starten konnte, lief es lange Zeit nicht wie erhofft. Zum einen sollten einige junge Neuzugänge an das Drittliga-Niveau herangeführt werden, zum anderen musste das Team in der ersten Hälfte der Runde auf Linkshänder Philipp Baier wegen eines Auslandssemesters verzichten. Mit Lucas Bauer sprang auf der rechten Seite ein junger Akteur nicht nur ein, sondern entwickelte sich mit inzwischen 105/5 Treffern zu einem der erfolgreichsten Torschützen des TV. Lediglich der im linken Rückraum agierende Philipp Klimmer (22, 107 Tore) und Mittelmann Andreas Kunz (33) haben bisher mehr Tore für ihre Farben erzielt. Kunz, Dreh- und Angelpunkt sowie verlängerter Arm seines Vaters und Trainers auf dem Feld, hat in seiner erfolgreichen Kariere ebenso EHF-Pokal-Erfahrungen mit dem TV Großwallstadt gesammelt, wie auch 30 Einsätze mit der Junioren-Nationalmannschaft absolviert. Vor allem seine Spielmacherqualitäten wie seine Sicherheit beim Strafwurf machen ihn zum wertvollsten Spieler der Unterfranken. Mit bisher 174/97 Treffern führt er auch mit weitem Vorsprung die interne Torschützenliste an.
Inzwischen hat sich die Situation für den TV etwas entspannt. Nach zuletzt drei Siegen in Halle, gegen Baunatal und am vergangenen Wochenende auch in Leipzig, verließ man den ersten Abstiegsplatz und kletterte etwas aus der direkten Gefahrenzone heraus. Ein Grund dürfte auch die etwas entspanntere Personalsituation sein. Konnte man im Hinspiel mit nur neun Feldspielern anreisen, so steht Gottfried Kunz inzwischen wieder ein weitgehend kompletter Kader zur Verfügung. Zur Freude des gesamten Vereins hat offenbar auch Mario Stark seine gesundheitlichen Probleme soweit im Griff, dass er seit dem 25. Spieltag wieder ins Spielgeschehen eingreifen und mit seinen Toren zu den Erfolgen beitragen konnte. Der 23-jährige Rückraum-Allrounder, ehemals beim HBLZ und mit Zweitspielrecht beim damaligen Zweitligisten TV Großwallstadt, musste mehrere Wochen wegen einer Herzmuskelentzündung pausieren und sah einer ungewissen sportlichen Zukunft entgegen.
Mit der deutlich entspannteren Personalsituation und drei Siegen im Rücken, sind die Odenwälder gerüstet für ihre letzten beiden Spiele gegen Auerbach und beim TV Gelnhausen, dem direkten Gegner im Kampf um den Relegationsplatz 14. Bei nur zwei Punkten Vorsprung auf den TVG erwartet die Mannschaft um Tobias Wannenmacher nicht nur ein abwehrstarkes Team, das aus dem Hinspiel noch eine Rechnung offen hat, sondern vielmehr ein Gegner, der mit dem Rücken zur Wand steht und bis zum Ende um jeden Zentimeter des Feldes kämpfen wird. „Mit einer Leistung wie in Baunatal werden wir auch in Kirchzell nichts holen“ mahnte denn auch Tobias Wannenmacher noch mehr Engagement bei seinem Team an. „Auch wenn unser primäres Ziel bereits vorzeitig erreicht ist und es dadurch und durch die äußeren Umstände sehr schwer fällt, wir müssen und wollen versuchen, unsere Spannung bis zum Ende so zu halten, dass wir noch zwei gute Ergebnisse für Auerbach erzielen.“
Aufstellung: Bayerschmidt, Goebel, Tannenberger, Weiss, Neuß, Lux, Laugner, Wannenmacher, Schnödt, Büttner, Schramm, Müller, Wolf, Schöttner